Politiker-Lügen

Politik

Arbeitslosenstatistik: Schönfärberei einer grausamen Wirklichkeit


Achtung: Im Anhang finden Sie aktuelle Anmerkungen zur Situation vor der Bundestagswahl 2009!
Wenn man sich ernsthaft bzw. mathematisch korrekt mit dem Thema Arbeitslosen-Statistiken beschäftigen will, braucht man zunächst exakte Definitionen der zugrundeliegenden Begriffe: arbeitslos, Arbeitsloser, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenquote.
"Arbeitslos ist wer keine Arbeit hat" ist die naive häufig bei Diskussionen auf Stammtisch-Niveau verwendetete Definition. Doch wann "hat man keine Arbeit" und ist arbeitslos, und kann statistisch zur Zahl der Arbeitslosen hinzugezählt werden? Ist z.B. eine Ehefrau, die im Prinzip gerne arbeiten würde, sich aber wegen der schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt mit Hausarbeit und Kindern "begnügt", arbeitslos? (Eine Liste mit weiteren solchen "Zweifelsfällen" finden Sie auf unsere Seite Problematik der Defintion "arbeitslos")

Wichtig ist, zu verstehen, dass die Zahl der Arbeitslosen durch änderung der zugrundelegenden Definintion nahezu beliebig nach oben oder unten korrigiert werden kann.

So gab es zum Beispiel im Januar 2005, wie damals von vielen erwartet, einen großen "Knall" in der Arbeitslosenstatistik. Aufgrund von Hartz IV wurden die offiziellen Arbeitslosenzahlen durch die Einbeziehung von Hunderttausenden nun als arbeitsfähig definierte Sozialhilfeempfänger sprunghaft nach oben getrieben. Bis zum Ende des Jahres 2004 waren diese in der Statistik nicht als arbeitslos aufgeführt worden. Durch diese änderung des Zählmodus wurde die für viele magische 5 Millionen Grenze erstmalig überschritten. Aber gleichzeitig fielen auch etwa eine halbe Million Menschen aus der Arbeitslosenstatistik, weil sie durch die Neufassung des Gesetzes keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld II hatten. Letzteres heißt aber, dass es eigentlich nicht zu einem unproportional hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen ist, sondern dass er bei anderer Zählweise sogar noch höher ausgefallen war. Aber bei genauer Analyse zeigt sich, dass diese Grenze aber bereits lange vorher durchbrochen worden war, wenn man diese neue Definition bereits zu Beginn der neunziger Jahre, also nach der Wiedervereinigung zugrunde gelegt hätte. Zählt man die bei der BA registrierten und die verdeckt Arbeitslosen zusammen, liegt die wirkliche Zahl der Arbeitslosen bei über 6 Millionen und seit 1991 war sie nie unter 5 Millionen gewesen. Manche Sachverständige gehen von einer tatsächlichen Arbeitslosigkeit aus, die sich zwischen  8 und 9  Millionen Menschen bewegt. Im letzteren Fall legt man allerdings eine sehr weitgehende Defintion für den Begriff "arbeitslos" zugrunde. (siehe dazu Problematik der Defintion "arbeitslos")

Das Grundproblem ist, dass es keine "wahre" Zahl der Arbeitslosen gibt, wie dies im Januar 2005 Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit sagte. Arbeitslos ist, wer den von der BA und der jeweiligen Regierung ausgeheckten Kriterien entspricht.

Noch problematischer sieht es bei der Arbeitslosenquote (häufig auch als Arbeitslosenrate bezeichnet) aus:

"Wir hoch die Arbeitslosenquote in Deutschland genau ist, weiss niemand, und niemand wird es je wissen.", schrieb Hans Wolfgang Brachinger in der Neuen Züricher Zeitung (12./13. Februar 2006, Die "wahre" Arbeitslosenquote - gibt's die?) "Die Arbeitslosenquote ist nämlich eine idealtypische Grösse, die nicht einfach empirisch "gezählt" werden kann." Die Arbeitslosenquote wird als Quotient aus der Anzahl der Arbeitslosen und der Gesamtzahl der zivilen Erwerbspersonen definiert und berechnet. Wie wir bereits gesehen haben, lässt die Definition der Arbeitslosigkeit einen erheblichen Ermessensspielraum zu. Nun kommt ein, noch weitgehenderer Begriff hinzu, nämlich "zivile Erwerbsperson". Auch die Definition dieser Gruppe kann nur im gesellschaftlichen Konsens abgesteckt werden. So gehörten bisher alle über 65jährigen nicht mehr in diese Gruppe. Früher wurden aber relativ großzügig auch Menschen über 60 zu dieser Gruppe hinzugezählt, d.h. Vorruhestand etc. Heute gibt es ernsthafte Diskussionen das Rentenalter über das 65. Lebensjahr hinaus um ein oder zwei Jahre zu verschieben.

Eine Regierung kann die Arbeitslosenquote unter anderem dadurch drücken, indem sie Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) oder zur Förderung beruflicher Weiterbildung (FbW) bereitstellt. Dies sind allerdings nur kurzfristig greifende Maßnahmen, die jedoch vor allem vor anstehenden Wahlen gerne genutzt werden. Außerdem hat die Politik auch die Möglichkeit, wie bereits erwähnt, durch Um- oder Neudefinition der zugraundeliegenden Größen die Statistiken schön zu färben. Es gibt wohl keine Partei, die sich bisher geschäut hätte, davon keinen Gebrauch zu machen:
Je nach Belieben können folgende Personen als arbeitslos gelten oder nicht: Personen,
  • die ein bestimmtes Alter überschritten haben
  • die eine Weiterbildungs-, Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme machen.
  • die einen 1-Euro-Job angenommen haben.
  • die erst kurze Zeit oder lange Zeit "arbeitslos" sind
  • die sich nicht beim Arbeitsamt gemeldet haben, aber einen Job suchen
  • die noch nicht gearbeitet haben, also z.B. nach dem Schulbesuch
  • etc.
Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Die Regierenden zeigten sich in der Vergangenheit zwar nicht sehr kreativ, was die Beseitung der Ursachen der Arbeitslosigkeit betrifft, aber in der Manipulation der zugrundeliegenden Daten waren sie wahre Meister.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man eigentlich nicht von einer Arbeitslosenstatistik sprechen dürfte, da sich nahezu kontinuierlich die zugrundeliegenden Paramater ändern. Vergleicht man z.B. die Arbeitslosigkeit von heute mit dem Wert aus dem Jahre 1980 so vergleicht man Zahlen aus dem alten Westdeutschland mit dem wiedervereinigten Deutschland. Zusätzlich wurden natürlich auch noch, während der letzten beiden Jahrzehnte, die oben erwähnten Manipulationen vorgenommen. Also insgesamt ein Vergleich von Äpfel mit Birnen.

"Die Frage, ob die neue Arbeitslosenstatistik (gemeint ist die seit Anfang 2005 genutzte) "wahr" ist oder nicht, ist falsch gestellt. Die ebenso selbstverständlich wie leichtfertig unterstellte Wahrheit gibt es nicht." Egal ob es sich um bewusste Lügen und Täuschungen handelt, ein Faktum bleibt bestehen: Es gibt viel zu viele Arbeitslose und die häufig sich dahinter verbergenden dramatischen Schicksale lassen sich mit keiner Statistik erfassen.

Aktuelle Anmerkung vom 29. Mai 2008: Nachdem sich allzu viele der Illusion hingegeben hatten, dass die Schar der Arbeitslosen sinke, kratzte der stellvertretende Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Peter Clever, heute an diesem Traumbild. Just in dem Moment, als die Agentur wieder sinkende Zahlen bekanntgibt: Man vermeldet, dass die Zahl der Arbeitslosen im Mai weiter auf 3,283 Millionen zurückgegangen sei, d.h. 131.000 weniger als im April. Der englischen Bedeutung seines Namens alle Ehre machend plädierte er für eine änderung bei der Arbeitlosenstatistik. Er fordert, dass auch Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen und Beschäftigte auf dem zweiten Arbeitsmarkt in der Statistik erfasst werden müssten. Dadurch würde sich die Zahl der Erwerbslosen um gut eine halbe Million erhöhen. Eine Frage an die Politiker: Wieso hat man überhaupt diese Menschen aus der Statistik herausgenommen? Wollte man nur die Statistik beschönigen oder wollte man die Wähler und Wählerinnen bewusst belügen und in einen Irrglauben führen? (Quelle: Deutschlandradio und Deutschlandfunk, 29.5.2008, http://www.dradio.de/aktuell/792557/)
Aktuelle Anmerkung vom November 2008: Die Regierung aus CDU und SPD hat anscheinend ein Konzept gefunden, um dem im Jahr 2009 zu befürchtenden Anstieg der Arbeitslosen zu begegnen. In Anbetracht der Tatsache dass 2009 ein Superwahljahr ist, sind solche Maßnahmen natürlich besonders dringlich. Laut einem Bericht des Spiegels unter Berufung auf die Financial Times Deutschland hat der Regierung wiedermals eine einfache Methode entdeckt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland dauerhaft zu senken. Zukünftig sollen nur noch diejenigen arbeitslos im Sinne der Arbeitslosenstatistik sein, die von privaten Trägern betreut werden. Immerhin fielen durch diesen Coup Hundertausende aus der Statistik. (Spiegel, Regierung frisiert Arbeitslosenstatistik, 25. Novemeber 2008)
Situation vor der Bundestagswahl 2009: Am 1. September 2009 schreibt die Welt: "Die Arbeitslosenzahl steigt trotz Krise kaum an. Dafür sind nicht die Politiker der großen Koalition verantwortlich, sondern statistische Tricks. Das böse Erwachen kommt erst nach der Wahl." Sie sagt, dass die Wahlkämpfer der großen Koalition aufatmen könnten, da trotz der größten Rezession seit 80 Jahren der befürchtete starke Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem Sommer ausgeblieben sei. Ende August präsentierte die Bundesagentur für Arbeit ihre letzten Arbeitslosenahlen vor der Wahl. Die Statistiker ermittelten nur 9000 Arbeitslose mehr als im Vormonat, womit die Arbeitslosenzahl unterhalb von 3,5 Millionen blieb. Laut Welt sieht die wirkliche Rechnung aber so aus: Sie weist daruf hin, dass seit Mai Arbeitslose, die von privaten Vermittlern betreut werden, in der Statistik nicht mehr mitgezählt werden. Dadurch kämen also etwas 130.000 Arbeitslose in der offiziellen Statistik hinzu. Ein weiteres Mittel der Beschönigung der Arbeitslosenstatistik sieht die Welt in dem massiven Einsatz der Kurzarbeit. "Ohne sie gebe es wohl noch einmal rund 400.000 Arbeitslose mehr. Die Arbeitslosigkeit läge dann bei mehr als vier Millionen. Rechnet man die Menschen hinzu, die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aller Art stecken, dann ist die Fünf-Millionen-Marke längst erreicht. Die Statistik verdeckt damit den fundamentalen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der sich in den Wintermonaten noch beschleunigen dürfte. Das Schlimmste steht uns noch bevor. Eine Million Arbeitslose mehr erwarten Experten im kommenden Jahr - doch dann ist die Bundestagswahl längst vorbei."
Lesen Sie zu diesem Thema auch ein interessantes Fallbeispiel: Falsche Statistik senkt Arbeitslosigkeit

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"Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken." (Benjamin Disraeli)

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