Lügen mit Statistik

Allgemein

Glück und Zufall

oder

Jeder ist seines Glückes Schmied

Unsere Abhandlung beginnen wir mit einem Sprichwort, welches wir häufig in unserem Sprachgebrauch benutzen, aber wohl meistens ohne tieferes Nachdenken. Eine Redewendung die eigentlich einen Widerspruch, ja beinahe ein Paradoxon, beinhaltet.

Glück, Zufall und Wahrscheinlichkeit sind eng verwandt, aber dennoch keineswegs Synonyme. Glück oder genauer das Glücksspiel war es, was Blaise Pascal (1623 - 1662) im 7. Jahrhundert veranlasste, nach mathematischen Beschreibungen und Erklärungen zu suchen, die später in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik mündeten.  Ihn beschäftigten Fragen wie "Welchen Einsatz soll man leisten, wenn der Gewinn unsicher ist?" Mit dieser Frage sind wir wieder zurück bei unserem anfänglichen Sprichwort, denn letztendlich steckt in ihm eine Antwort auf die analoge Frage des Lebens: Welchen Einsatz, also Geld, Arbeit oder Anstrengungen man bei unsicherem Gewinn leisten soll.  "Jeder ist seines Glückes Schmied" suggeriert, dass Glück nicht vom Zufall oder den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit abhängig ist, sondern dass man es "schmieden" kann, was in etwa bedeutet, dass man nur energisch und hart genug auf ein Ziel hinarbeiten muss, und man wird es berechenbar (schmiedbar) erreichen. Daraus resultieren auch "Weisheiten", die von Karriere-Trainern oder besser gesagt Glückstrainern in ihren Seminaren und Kursen verbreitet werden: "Die Zukunft gehört denen, die viel wissen!", " Wenn wir Talente entwickeln, werden wir den Weg bereiten." oder " Das Geheimnis des Erfolgs ist die unbeirrbare Zielstrebigkeit." Was aber letztendlich nichts anderes heißt, als dass jeder Mensch sein Leben selbst in der Hand hat, selbst für Erfolg oder Versagen verantwortlich ist.  Aber gleichzeitig und hierin liegt der Widerspruch, ist es auch ein Eingeständnis, dass der Erfolg eines Menschen im Leben vom Glück abhängig ist.

Die Vorstellung der individuellen Glücksschmiede ist aber nicht etwa in der Neuzeit entstanden oder vom Liberalismus geprägt worden. Das Sprichwort selbst lässt sich schon bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen. Schon die Römer glaubten ihr Glück schmieden zu können, und ihre Geschichte scheint ihnen Recht zu geben. In seinen "Epistulae ad Caesarem senem" schreibt der römische Historiker Sallust im ersten Jahrhundert vor Christi Geburt: "Sed res docuit id verum esse, quod in carminibus Appius ait, fabrum esse suae quemque fortunae." (Aber die Sachlage (res) lehrt uns, dass wahr ist, was Appius in seinen Gedichten sagte: Jeder könne der Handwerker seines Glückes sein.) Der in diesem Brief zitierte Appius, der mehr als 250 Jahre vor Sallust geboren worden war, hatte sein "Glück in die Hand genommen" und war nicht nur zum Architekt seines Lebens geworden. Er war es, der die berühmte Via Appia konzipierte und das erste Äquadukt in Rom die Aqua Appia baute.

Seines Glücks Schmied zu sein, heißt also auch "Jeder kann alles erreichen, wenn er nur will!". Leider lehrt einen die "res" - um mit Sallust zu sprechen - auch, dass dies nicht sein kann.  Die Schaar derer, die einsehen müssen, dass jegliches aktives Handeln keinen Einfluss auf ihr Schicksal nehmen wird, straft sie das Sprichwort lügen? All die Menschen, die z.B. in nicht selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit verheddert sind und am Rande der Gesellschaft vegetieren, - letzteres kann man sehr wörtlich nehmen, wenn man in die sogenannte dritte Welt schaut - sind sie ein Beweis dafür, dass man häufig oder gar meistens nicht der Architekt seines Glücks sein kann? Menschen, die nicht zum Spielball der Götter, wie in der griechischen Tragödie, sondern zu einer nicht mehr benötigten Ressource der Wirtschaftsbosse geworden sind.  Glück für diese Unglücklichen kann nur noch in der Katharsis bestehen, in der stoischen Annahme ihres unausweichlichen Schicksals.

Aber damit ist die Redewendung keinesfalls widerlegt, denn sie  birgt auch eine nahezu gegensätzliche Interpretation. Man muss nur das Schwergewicht auf eine andere Bedeutung von Glück legen. Unter Glück versteht man ja auch eine angenehme oder freudige Gemütsverfassung, in der man sich dann und wann - die einen mehr die anderen weniger häufig  - befindet. Sein Glück zu schmieden heißt in diesem Zusammenhang nun, dass man lernt, sich mit dem zu begnügen, was man hat, und damit wie Diogenes von Sinope sich mit seiner Tonne zufrieden zu geben.

Glückes Schmied ist also Beschwichtigung und Ermunterung gleichzeitig. Ein Lebensweisheit ganz im Sinne derer, denen Fortuna mit voller Schöpfkelle dient. Eine Redewendung gegen den Neid, denn warum sollte man neidisch sein, was man nur aus eigenem Unvermögen, also mangelnde Schmiedeskunst nicht erreicht hat. Gleichzeitig auch ein Freibrief nichts tun zu müssen, um den Armen aus ihrer misslichen Lage zu helfen, denn diese können, wenn sie es nur wollen, sich ja selbst helfen.

Besonders wichtig ist diese Vorstellung auch für die Erfolgreichen, denn damit können sie stolz auf das Erreichte sein. Sie haben ihren Erfolg schließlich selbst aktiv durch Anstrengung, Intelligenz und Durchhaltevermögen geschaffen. So können sie getrost glauben, dass alles nicht nur Zufall war, dass sie nicht nur zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen sind, also nur durch glückliche Umstände sich bietende Gelegentheiten "beim Schopf gefasst" hatten.

Wenn a-priori nicht jeder alles erreichen kann, weil eine Person von Natur aus nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, stellt sich die Frage, ob diejenigen die "etwas erreicht haben" es mit Recht erreicht haben. Ist sichergestellt, dass aus der Masse der Anwärter, die beste Wahl getroffen wird? Anders ausgedrückt: Korreliert die Karrierestufe eines Menschen wirklich mit dessen persönlicher Leistung und persönlichem Können? Ist es so, dass an den einzelnen Hierarchiestufen jeweils die oder der Beste sich befindet? Kann man davon ausgehen, dass eine Art Darvinscher Prozess dies wirklich sicherstellt? Im großen und ganzen stimmt es sicherlich. Aber es gibt Verwerfungen in diesem System. Nehmen wir vereinfachend an, dass wir eine lineare Ordnung hätten, z.B. von 0 bis 10, die die Hierarchistufen wiederspiegelt. (In Wirklichkeit ist dies natürlich ein komplexer Graph.) Verwerfungen sind nun Zustände, in denen eine Person mit der Kompetenz für eine Stufe n (z.B. 5) sich über einen längeren Zeitraum oder dauerhaft auf der Stufe m (z.B. 2) befindet. Das sogenannte Peter-Prinzip (William Morrow: "The Peter Principle", New York, 1969) geht davon aus, dass Personen auf Stufen befördert werden, die höher als ihre Kompetenz ist, also in obiger Nomenklatur n < m:
"In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen."

Würde dieses Prinzip in Reinkultur gelten, würde dies aber implizieren, dass die eigentliche vom Unternehmen (oder im größeren Rahmen die Gesellschaft) zu erledigende Arbeit von denjenigen erledigt wird, die ihre Stufe der Inkompetenz noch nicht erreicht haben. Außerdem, wenn man von Krankheiten und Ruhestand absieht, wären nach einer gewissen Zeit alle Positionen von Personen besetzt, die unfähig wären, ihre Aufgaben zu erfüllen. In diesem Rahmen wird auch ein sogenannter Reifequotient (RQ) definiert:
Der Reifequotient (RQ) entspricht der Gesamtzahl der Beschäftigten im Zustand der Inkompetenz (GIB) multipliziert mit 100 dividiert durch die Gesamtzahl der Beschäftigten (GB). Also RQ = GIB * 100 / GB

Kann man nun abschließend beantworten, ob jeder seines Glückes Schmied ist? Zu einem kleinen Teil ja, aber ansonsten wird das Schicksal wohl von Glück im Sinne von Zufall und von anderen gesellschaftlichen Faktoren bestimmt, die nicht im Einflussbereich des Einzelnen liegen.

"Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken." (Benjamin Disraeli)

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