Geschichten wider alle Vernunft

Edle Wilde


Tasaday-Schwindel


Der Mythos vom edlen Wilden, - also von Kulturen, die unberührt von unserer modernen Zivilisation und Kultur, ein nach unseren moralischen Maßstäben besseres "edleres" Leben führen - sollte eigentlich heutzutage allgemein als Ammenmärchen verstanden werden. In seinem ab 1569 in drei Teilen erschienen Epos „La Araucana“ prangerte der spanische Schriftsteller Alonso de Ercilla y Zúñiga  die aus Gier nach Gold und Macht entstandenen Greueltaten seiner Landsleute an. Gleichzeitig verklärte er aber die einheimischen Araukaner als edle Wilde. Besonders im 17. und 19. Jahrhundert florierte diese romantische Wunschvorstelltung über Urvölker.  Der "Edle Wilde" ist das (verklärte) Bild eines von Zivilisation unberührten und unverdorbenen Menschens. Es ist die Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Besonders geprägt wurde diese Vorstellung von Jean-Jacques Rousseau. So beginnt zum Beispiel sein Emile mit dem entscheidenden Satz, der mit einer gewissen Konsequenz zu der vereifachten Sichtweise der Philosophie von Rousseau "Zurück zur Natur" führt:
"Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen"

Dennoch war das Bild vom "Edlen Wilden" nie konsequent befolgt worden. Ein Paradebeispiel dazu ist Karl May. Seine Indianer sind einerseits edle Figuren, von denen die Weißen noch etwas lernen können, so zum Beispiel sein Apachenhäuptling Winnetou. In seinen Beschreibungen verklärt er sie innerlich und äußerlich. In ihrer Psyche sind sie menschlicher und zufriedener als die Menschen des "zivilisierten" Europas und vor allem die nordamerikanischen Einwanderer. Charaktereigenschaften, die sich auch im Erscheinungsbilder der May'schen Indianer ausdrücken:   "Der Ältere war von etwas mehr als mittlerer Gestalt, dabei sehr kräftig gebaut; seine Haltung zeigte etwas wirklich Edles, und aus seinen Bewegungen konnte man auf große körperliche Gewandtheit schließen. Sein ernstes Gesicht war ein echt indianisches, doch nicht so scharf und eckig, wie es bei den meisten Roten ist. Sein Auge besaß einen ruhigen, beinahe milden Ausdruck, den Ausdruck einer stillen, innern Sammlung, die ihn seinen gewöhnlichen Stammesgenossen gegenüber überlegen machen mußte." (Karl May, Winnetou, Erste Begegnung mit Winnetou und Intschu tschuna)
Auf der anderen Seite konfrontiert Karl May seine Leser mit dem Indianer als Barbar. Als brutaler Wilder, der seine Gefangenen am Marterpfahl grausam und langsam zu Tode quält und seine Gegner in der Schlacht skalpiert.

Ein Beispiel dafür, wie das Bild des "edlen Wilden" auch die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts beeinflussen konnte, stellen die Forschungsergebnisse von Margaret  Meat dar. 
Aus ihren Forschungsreisen von 1931 nach Neuguinea,  wo sie die Stämme der Arapesh, Tchambuli und Mundugumor erforschte,  glaubte sie empirisch folgern zu können, dass die bei uns vorherrschenden Geschlechterrollen kulturell geprägt werden und nicht wie von vielen angenommen genetisch  bedingt sind. Außerdem zeichnete sie die Neuguinear als ein rein friedliebendes Volkd mit einem unbekümmerten Sozialverhalten. 
Der Anthropologe Derek Freeman, der Samoanisch im Gegensatz zu Mead sprach, widersprach er den Ergebnissen, die Mead 50 Jahre vor ihm veröffentlicht hatte. Er dokumentierte, dass Samoaner  ihre Töchter schlagen oder töten können, wenn sie in ihrer  Hochzeitsnacht keine Jungfrauen mehr sind.

Wie stark in uns auch heute noch die Sehnsucht nach einem edlen Urvolk ist, zeigt das Beispiel der Tasaday. 1971 traf  Manuel Elizalde jr. auf  eine Gruppe von 26 Leute, sie sich Tasaday nannten.  Diese Leute schienen zivilisatorisch  nicht über die Steinzeit hinausgekommen zu sein. Manuel Elizalde lernte, dass sie in Höhlen lebten und dass sie sich von wildem Jams, Kaulquappen, Krabben und so weiter ernährten. Besonders interessant war ihre unglaubliche sanfte Natur, was sich in der Tatsache niederzuschlagen schien, dass sie keine Wörter für "Waffe", "Krieg" oder "Feind" hatten.  Um diesen bemerkenswerten Stamm zu schützen, erklärte Präsident Marcos 19.000 Hektar um das Gebiet der Tasaday zum Sperrgebiet und kurze Zeit später rief er das Kriegsrecht auf den Philippinen aus.

1986, also 15 Jahre nach den ersten Kontakten mit den Tasaday, nachdem die Tyranei von General Marcos  beendet worden war, untersuchte der schweizer Schriftsteller und Anthropologe Oswald Iten mit dem Journalisten Joey Lozano das mysteriöse Volk der Tasaday. Alles stellte sich als ein gigantischer Schwindel heraus. Die "Tasaday" gehörten in Wirklichkeit zu anderen Stämmen, die schon lange Kontakt mit der modernen Zivilisation hatten. In ihrem Fernsehbericht zeigten Lozano und Iten, wie Philipinos in T-Shirts und Levis Hosen über Bilder von sich selbst als Höhlenmenschen im National Geopgraphic lachten. Tagsüber waren sie "Höhlenmenschen", nachts gingen sie heim zu ihren Familien in die "Zivilisation".



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